Veröffentlicht bei Koninet Nachrichten, am Mittwoch, 19. Oktober 2016 von Ottmar Miles-Paul
Berlin (kobinet) „Wir wollen ein Bundesteilhabegesetz unter sozialdemokratischer Federführung umsetzen und gleichzeitig systematische Politikbegleitung und Mitentscheidung bei der Weiterentwicklung dieser zentralgesellschaftlichen Thematik.” Dies machte der Vorsitzende der AG Selbst Aktiv von behinderten Menschen in der SPD, Karl Finke, bei der gestrigen Veranstaltung zum Bundesteilhabegesetz im Willy-Brandt-Haus in Berlin deutlich.
“Inklusion ist ein dynamischer, gesellschaftlicher Prozess und bedarf ständiger politischer Begleitung und Initiierung von Veränderungs- und Anpassungsprozessen, nicht nur auf gesetzlicher Ebene. Grundfrage für uns alle ist zunächst: Bringt das BTHG, das sich im Moment auf den Personenkreis der eingliederungshilfeberechtigten Personen bezieht, mehr Eigenständigkeit und Selbstbestimmung oder ist es ein Einstieg in mehr Reglementierung und neue Abhängigkeiten? Wird das sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis von Leistungserbringern, Leistungsträgern und Leistungsempfängern zu Gunsten von uns Menschen mit Behinderungen qualitativ verändert oder zu unseren Ungunsten verschoben? Welche Entwicklung gibt es im Bereich der lebenslangen Sozialhilfeabhängigkeit zum Beispiel durch Anrechnen von Einkommen und Vermögen und der Perspektive auf ein eigenständiges Teilhabegeld? Ist die Sozialhilfe weiterhin als letztes Netz gewährleistet?” Dies erklärte Karl Finke in seiner Begrüßung zur gestrigen Veranstaltung.
Zur Schaffung von Abhängigkeiten gehöre auch die neue “Zauberformel 5 von 9”, d. h. von neun vorgegebenen Kriterien muss ein Mensch mit einer Behinderung fünf Kriterien erfüllen, sofern er Ansprüche aus der Eingliederungshilfe geltend machen will, betonte Karl Finke. “Hier müssen wir uns fragen, inwieweit eher defizit- statt teilhabeorientierte Kriterien gestärkt werden? Im Bereich des eigenständigen Wohnens fragen sich viele: Sind die eingeräumten 25 Prozent Mehraufwand zu wenig oder kann jemand, der selbstorganisiert eigenständig wohnt, in diesem finanziellen Rahmen gut zurechtkommen? Wie organisieren wir inklusive Bildungsbereiche? Individualisierungen der Hilfen haben den ersten Anschein der Kompetenzübertragung an uns Menschen mit Behinderungen. Ein Strauß von Fragen, bei denen vielen die Grundorientierung und Perspektiven nicht sofort zugänglich sind. Handlungsleitend sind Inklusion als gesellschaftsprägendes Merkmal, Partizipation als Mitentscheidung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung, Barrierefreiheit und angemessene Vorkehrungen als Prinzip durchgängiger Zugänglichkeit sowie viertens Empowerment als Kompetenzübertragung in allen Themenfeldern. Dies mit den konkreten Politikfeldern zu verbinden, ist zukunftsorientierte Behindertenpolitik.”
Quelle: Text: Ottmar Miles-Paul – Kobinet Nachrichten,
Fotos: P. Marx