Anlass genug für Selbst Aktiv im Rahmen ihrer letzten Mitgliederversammlung das Thema aufzugreifen und es gemeinsam mit eingeladenen Gästen der SPD Landtagsfraktion und der AfA zu diskutieren.
Das Mindestlohngesetz gilt für Arbeitnehmer/Innen. Einer Arbeitnehmerstellung und somit die Anwendung des Mindestlohngesetzes steht jedoch § 138 Absatz SGB IX entgegen, weil dieses feststellt, dass Menschen mit Behinderungen im Arbeitsbereich einer anerkannten Werkstatt den Status eines arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnisses haben. Das Mindestlohngesetz findet aber hier keine Anwendung, weil sie nicht AbeitnehmerInnen im Sinne des Gesetzes sind, wie es der § 1 des Mindestlohngesetzes fordert.
Jedoch gab sich Andre` Thiel, Mitglied von Selbst Aktiv, mit dieser Rechtsauffassung nicht zufrieden und verklagte die Stadtmission Halle auf Zahlung von Mindestlohn.
Andre` übt mit einem Realschulabschluss und abgeschlossener Berufsausbildung zur Bürohilfe ein Arbeitsverhältnis im Umfang von 35 Stunden pro Woche aus. Sein Spektrum im Arbeitsprozess reicht von einfachen bis zu komplexen Tätigkeiten, die er im Rahmen seiner Berufsausbildung erworben hat.
Er bezieht selbständig und allein eine 2-Zimmerraumwohnung und nutzt täglich die öffentlichen Verkehrsmittel, um seinen Arbeitsplatz zu erreichen – was bisher erfolgreich gelang.
Andre` Thiel artikuliert seinen Unmut und die Enttäuschung, dass die SPD ihr Versprechen mit dem Stolz für den erkämpften gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn nicht eingehalten hat.
Leider implementiere dieser dabei nicht alle Beschäftigten, wie u.a. die Werkstattbeschäftigten, die gänzlich ausgeschlossen bleiben und somit Menschenrechte eingeengt werden. Hiermit verbindet Andre` eine soziale Ungerechtigkeit, gegen die man sich im Hinblick auf Chancengleichheit und im Zuge der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (Artikel 27) wehren muss!
Die Beschäftigung in einer WfbM führt in keinster Weise zu einem existenzsicherndem Auskommen. Wenn man neben dem erworbenen „Taschengeld“ etwas mehr verdiene, holt die Sozialhilfe das Geld wieder retour, eine unabhängige Führung des Lebensunterhaltes bleibt da auf der Strecke, so Andre`s Wahrnehmung.
Bedauerlicherweise erfolgte die Klageabweisung in 1. Instanz im Wesentlichen mit der Begründung, „dass die in den WfbM Beschäftigten behinderten Menschen keine Arbeitnehmer im Sinne des Gesetzes sind, weil die Werkstattverträge einen anderen/ weiter gehenderen Inhalt haben als Arbeitsverträge und – abweichenden von normalen Arbeitsverhältnissen – in den Werkstätten eben nicht die Erbringung von Arbeitsleistungen und deren Vergütung im Vordergrund stehen“, so die Einschätzung von J.Albert Dütsch, der den Kläger Andre` Thiel in erster Instanz vor dem Arbeitsgericht Halle als zugelassener Verfahrensbevollmächtigter vertreten hat.
In der Einschätzung erweist sich das Urteil als „verfassungsrechtlich bedenklich“.
In der offen geführten Diskussion wird schnell klar: „Perspektivisch muss man alle politischen Akteure in den Prozess eines inklusiven Arbeitsmarktes einbinden“, so die Argumentation von Andreas Steppuhn ( MdL) stellv. Fraktionsvorsitzender der SPD – Sprecher f. Arbeitsmarkt, Integration und Rentenpolitik. Außerdem sollte die Debatte über den Mindestlohn in der WfbM neben dem juristischen Weg im politische Prozess befördert werden.
Andreas schlägt vor, den Vorgang medial aufzugreifen und bietet seine Unterstützung für die Weiterleitung an die Presse (Volksstimme, MZ) an.
Gemeinsamer Konsens besteht, dass eine gewisse Zielgruppe behinderter Menschen (z.B. psychisch Erkrankte) den derzeitigen Bedingungen, die der 1. Arbeitsmarkt fordert nicht mehr gewachsen sind und dann häufig den Weg in die WfbM wählen oder einschlagen müssen. Auch der Übergang von der Sonderschule in die WfbM ist oft mit einem gewissen Automatismus verbunden.
Fest steht, dass eine durchgängige inklusive Bildungskette eine gute Voraussetzung für den Weg auf den 1. Arbeitsmarkt begünstigen könnte.
Gerade in Sachsen-Anhalt werden Werkstattplätze abgeschmolzen.
Die Klage für einen Mindestlohn (im Fall Andre` Thiel) ist ein wichtiger Schritt für Selbstbestimmung und Chancengleichheit und sollte laut Aussage von Albert und Andre` nicht als sogenannter „Musterprozess“ gelten, sondern eine Individualisierung erhalten!
Albert verweist darauf, „dass das Arbeitsgericht Halle sich nicht mit dem konkreten Verhältnissen und Arbeitsabläufen in den Werkstätten auseinandergesetzt hat, sondern einfach postuliert, dass von den in den Werkstätten Beschäftigten keine Arbeit im eigentlichen Sinne geleistet wird/geleistet werden kann“! Diesem Aspekt soll in der Berufungsinstanz gezielt entgegen getreten werden.
Das Klageverfahren wird über die nächsten Instanzen bis zur Klage vor dem EUGH seine Fortsetzung finden.
Selbst Aktiv Sachsen-Anhalt wird den Prozess mit großer Spannung weiter begleiten und verfolgen.
Foto und Text: Katrin Gensecke
Als gelernter Bürokaufmann mit 50% Behinderung hatte ich mich zuerst immer um einen Arbeitsplatz bei einer Behörde oder Firma des ersten Arbeitsmarktes beworben.
Nach knapp 4jähriger Arbeitslosigkeit konnte ich ab 02.11.1994 bis Mitte August 1999 bei einer Baumaschinenhandlung als Unternehmen des ersten Arbeitsmarktes im Bürobereich arbeiten.
Die Baumaschinenfirma erhielt 2 Jahre lang, Monat für Monat 2.100 DM an Einarbeitungs- und Fördergelder vom Arbeitsamt.
Als diese Geldzahlungen nach 2 Jahren eingestellt wurden, konnte ich meinen Arbeitsplatz nicht mehr lange halten.
Durch eine depressiven Erkrankung aufgrund privater und beruflicher Erlebnisse wurde eine 1jährige stationäre Therapie notwendig.
Somit kam ich dann später ab Anfang März 2001 in eine Tagesklinik und die dortige Psychologin fuhr mit mir zu einer Werkstatt für behinderte Menschen, wo ich ab Anfang März 2001 anfing im Bereich Elekteomontage / Verpackung zu arbeiten.
Wie mir erging es vielen Kolleginnen und Kollegen in der WfbM.
Auch diese waren zuvor als Menschen mit Behinderugen in Behörden und Werkstätten des ersten Arbeitsmarktes und konnten ebenfalls, meist nach dem Ende der 2jährigen Einarbeitungs-/Fördergeldzahlungen durch die Arbeitsämter/-agenturen an die Behörden und Firmen, die behinderte Menschen eingestellt hatten, ihre Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht halten, sondern kamen deshalb oft in eine WfbM.
Gibt es Statistiken, die belegen wieviele Menschen mit Behinderungen, die zuerst in Behörden und Werkstätten des ersten Arbeitsmarktes gearbeitet hatten, pro Jahr in die Sonderwelten WfbM abgerutscht sind?
Wieviele haben umgekehrt pro Jahr aus den WfbM heraus über Integrationsfirmen einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt in Behörden und Firmen gefunden?
Inwieweit unterscheiden sich heutzutage noch Arbeitsbereiche und durchgeführte Arbeiten in eine Werkstatt und Behörde des ersten Arbeitsmarktes von Arbeitsbereiche und durchgeführte Arbeiten in einer WfbM?