Minister Tullner: Inklusive Bildung ist ein Menschenrecht, wann erkennen Sie die Ratifizierung der UN-BRK endlich an? Menschenrechte sind nicht verhandelbar!
Durch Artikel 24 der UN – Behindertenrechtskonvention ist Deutschland, und damit auch Sachsen-Anhalt verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem aufzubauen.
Dass Bildungsminister Tullner den mühsam angelaufenen Inklusionsprozess an unseren Schulen als „gescheitert“ erklärt, kann vielmehr als ein Scheitern seiner Bildungspolitik angesehen werden.
Er selbst lehnt den Inklusionsgedanken konsequent ab und sieht daher keine Notwendigkeit, den ohnehin schon minimalen Bestand an Erfolgen zu stützen und zu halten, geschweige denn auszubauen!
Als Feigenblatt bedient er sich einer nicht näher bezeichneten Zahl von Schülerinnen und Schülern, die im „gemeinsamen Unterricht“ nicht „gut aufgehoben wären“.
Anstatt Bedingungen zu schaffen, damit sich jede Schülerin / jeder Schüler an unseren Schulen gut aufgehoben fühlen kann, schafft er mit dem konsequenten Beharren auf dem Förderschulsystem eine Ausgangssituation, die einem Teufelskreis gleicht.
Statt die Regelschulen mit Fachpersonal für die Förderung der Schülerinnen und Schüler auszustatten, verbannt er dieses an die Förderschulen, wo sie in Klein- und Kleinstgruppen sicher gebraucht werden, aber letztlich wenig effektiv eingesetzt werden können.
Intelligente Ansätze, die beispielsweise bei Wegfall der Förderschule mangels Schülerzahlen Schwerpunktschulen in den betroffenen Gebieten bilden und unterstützen – und somit den Weg zur Inklusion über den Umweg der Integration gehen – wurden vom Tisch gewischt. Stattdessen vermeidet man jede Diskussion und Auseinandersetzung und beharrt auf dem „alten Konzept“, so dass an der ohnehin zu kleinen Personaldecke nun zwei Seiten ziehen – die Förderschulen und die Regelschulen mit inklusivem Ansatz. Verstehen muss und kann man das Alles wohl nicht.
Es gibt eine Reihe von zertifizierten Schulen mit inklusiven Bildungskonzepten in unserem Land. Teilweise praktiziert man hier seit vielen Jahren, zum Teil lange vor Behindertenrechtskonvention und Erlassen zum gemeinsamen Unterricht das inklusive Lernen.
Mit hohem pädagogischen Können werden Schülerinnen und Schüler gestützt und gefördert, um ihnen einen anerkannten Schulabschluss und damit den Start in ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
Das heißt: aus potentiellen Schulabbrechern (denn so werden Absolventen der Förderschule für Lernbehinderte statistisch gezählt, weil sie die Schule ohne einen anerkannten Schulabschluss verlassen) wurden durch Förderung und individuelles Arbeiten Haupt- und Realschüler.
Oft wird nach dem „Geheimrezept“ gefragt. Das aber gibt es nicht. Es waren und sind allgemeine Parameter, die sich jedoch leicht auf das gesamte Schulsystem übertragen lassen.
Grundlage hierbei ist, ein Bewusstsein zu schaffen, dass inklusive Bildung die Eingangstür für eine Gesellschaft von morgen ist. in der die Schüler*innen leben möchten.
Desweiteren muss dafür Sorge getragen werden, dass die personelle Ausstattung vorhanden ist.
Es geht also nicht darum, dass „mal jemand da ist“, sondern, dass „immer jemand vor Ort ist“, der Tipps und Hinweise gibt, Ansprechpartner für Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer und die Eltern ist.
Ausgebildetes Personal zur Begleitung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und/oder Teilleistungsstörungen gehört in ausreichender Anzahl verlässlich und planbar an jede Schule des Landes. Das ist Grundvoraussetzung ebenso wie ein ständiges Fortbildungsangebot für Pädagogen*innen aller Schulformen.
Wenn inklusive Unterrichtsstrukturen gelingen sollen ist neben den personellen auch die sächliche Basis in Betracht zu ziehen. Die bauliche Barrierefreiheit der Schulgebäude muss im Zuge weiterer Sanierungsmaßnahmen entgegen dem Sparwahn vorangetrieben werden, wenn man es mit der Inklusion ernst meint.
Hinderlich sind oft auch bürokratische Hürden. Wenn unterschiedliche Schulträger sich um technische Hilfsmittel streiten, bleibt am Ende meist das Kind auf der Strecke. Hier sind unbürokratische Lösungen auf kommunaler Ebene anzustreben.
Dem Land hingegen ist quasi als Hausaufgabe aufzugeben, dass Konzepte erstellt werden müssen, die die Verlässlichkeit und Planbarkeit im Schulsystem wiederherstellen.
Angesichts wachsender Personalknappheit wird der Spagat zwischen dem Festhalten am überholten Förderschulsystem in seiner Gesamtheit auf der einen und den inklusiven Ansätzen auf der anderen Seite nicht mehr lange durchzuhalten sein. Die Proteste und Aktionen zum Einsatz Pädagogischer MitarbeiterInnen sprechen dazu ihre eigene Sprache. Hier muss das Land Farbe bekennen:
Wieviel Inklusion wollen wir und wie setzen wir knappe Ressourcen sinnvoll ein? Welche intelligenten Lösungen finden wir im Übergang und wie viel Besonderung und Förderschulversorgung wird es weiterhin und an welchen Standorten geben müssen?
Ein einfaches „Weiter so!“ oder „Zurück in die Vergangenheit“ ist ein Verstoß gegen die Menschenrechte. So hat es die UNO definiert, so hat es Deutschland ratifiziert. Und Bildung ist ein Menschenrecht und nicht verhandelbar!
So viel Wahrheit muss uns die Zukunft unseres Landes – und das sind nun mal unsere Kinder, auch die mit sonderpädagogischem Förderbedarf – wert sein.
Katrin Gensecke, im Namen der Arbeitsgemeinschaft Selbst Aktiv