„Jeder ist anders normal“
Inklusive Bildung in Sachsen-Anhalt – ein weiter Weg? ,Unter diesem Titel fand am Dienstag, den 5.März 2013 eine Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft “Selbst Aktiv” in Halle statt.
Weit über 30 Gäste aus der Landespolitik, Lehrerschaft, Elternvertretern, Verbänden waren der Einladung gefolgt.Durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich Deutschland verpflichtet, ein inklusives Schulsystem zu etablieren.
Mit der 14. Novelle des Schulgesetzes Sachsen-Anhalt, mit Einführung der Gemeinschaftsschule wurde eine gute Voraussetzung für den Aufbau eines inklusiven Schulsystems geschaffen.
In der Begrüßung betonte Katrin Gensecke ( Landesvorsitzende der AG Selbst Aktiv), die Wichtigkeit der Inklusion, dabei sei ein Wandel im gesellschaftlichen Handeln notwendig.
Dr. Katja Pähle, wissenschaftlich-politische Sprecherin , stimmte das Publikum mit Auszügen aus dem Artikel 24 der UN-BRK ein. Die Wegweiser seien gegeben, das individuelle Recht eines Kindes auf gemeinsamen Unterricht zu gewährleisten. Sie verwies darauf , dass Sachsen-Anhalt noch nicht beispielgebend für flächendeckende inklusive Bildung ist.
Inklusive Schule sollte nicht realisierbar sein, weil es die angespannte Haushaltslage nicht zulässt, oder das dafür qualifiziertes pädagogische Personal fehle.
Sozialminister Norbert Bischoff orientiert die Inhalte der Inklusion nicht nur auf Menschen mit Behinderungen.. Gerade im Bezug auf den demografischen Wandel zeige sich dies deutlich. Die Gesellschaft lebt von Unterschiedlichkeiten.„Wir sind mit der Inklusion schon viel länger in Berührung , als vermutet. Die Konvention öffne eine Inanspruchnahme für alle im Sozialsystem.“ Durch eine frühkindliche Bildung erleben alle miteinander das soziale Gefüge und entwickeln dabei einen Gemeinschaftssinn.Der Übergang zur Schule dürfe in der Bildungskette nicht unterbrochen werden.Eine gute Schule sollte jedem einzelnen Kind mit seinen individuellen Möglichkeiten gerecht werden.
An die Meinung ihrer Vorredners schloss sich Corinna Reinecke, bildungspolitische Sprecherin an. Sie erläutert das Konzept des Landes Sachsen-Anhalt zum Ausbau des gemeinsamen Unterrichts an allgemein bildenden Schulen.Man versuche, im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention nach zu kommen.Dennoch wird es weiterhin ein Netz von Förderschulen für bestimmte Förderschwerpunkte geben, gerade für Fälle, in denen durch mehrfache oder schwerste Behinderung eine professionelle Bildung und Betreuung fachlich, menschlich angemessen erscheint. Bedeutsam sei es auch, dass die Lehrkräfte sowie die Führungskräfte gut ausgebildet werden müssen, über sonderpädagogische Qualifikationen verfügen. Sie befürwortet auch die Erweiterung der Möglichkeiten einer pauschalen Zuweisung von Lehrerwochenstunden von Förderschullehrkräften an allgemeinen Schulen hinaus.
Der Behindertenbeauftragte der Stadt Halle, Dr. Toralf Fischer ist erfreut, dass den Bemühungen um eine inklusive Bildungsteilhabe endlich auch in Sachsen Anhalt Rechnung getragen werde. Allerdings sollte man immer bedenken, dass man die Kinder in ihren unterschiedlichen Fähigkeiten berücksichtigen müsse.Für Eltern sei es nicht immer einfach ihre Ansprüche in Vertretung ihrer Kinder klar zu formulieren. Reichen die Ressourcen für das jeweilige Kind aus, benötigt es doch eine sonderpädagogische Einrichtung?
Silke Klessig, Schulleiterin der Saale-Schule Halle berichtet positiv von ihrer Einrichtung, welche schon erfolgreich inklusiv beschult. Wir alle sehen uns als „Lernende“.Ihr Schülerkollektiv lebt von unterschiedlichsten Begabungen. Jeder Schüler hat seine eigene Geschichte zu erzählen. Auf Vielfältigkeit legt die Schulleiterin großen Wert. Soziale Kompetenzen erlerne man gerade in einem gemeinsamen Unterrichtsgeschehen. Es ist alles möglich, wenn die Grundeinstellung stimme. Die Schülerinnen und Schüler lernen soziale Kompetenzen und gleichzeitig wird der gegenseitige Respekt gefördert.Die Leistungsfähigkeit jedes Einzelnen müsse im Vordergrund stehen, nicht seine Behinderung.
Befürworter treffen auch in der offenen Diskussionsrunde auf Skepsis.
Eine Vertreterin der Elternschaft bemängelt , Inklusion dürfe nicht zum Sparmodell ernannt werden. Mit den Bemühungen einer inklusiven Schule nach Finanz/Haushaltslage erweist man den Kindern dabei keinen Dienst. Kritisiert wird vor allem die personelle Ausstattung, wobei Corinna Reinecke auf einen zusätzlichen Personenpool im Konzept zum Gemeinsamen Unterricht hinweist.Dennoch wünscht man sich von Seiten der Verantwortlichen ein Augenmaß für mehr verpflichtende Qualifizierung / Weiterbildung
Auch sicher ist, dass viele Barrieren und Ängste der Eltern von behinderten Kindern abgebaut werden müssen.Sie fürchten, dass ihre Kinder im allgemeinen Unterricht nicht so unterstützt werden, wie notwendig wäre. Zweifel kommen auf, ob es tatsächlich gelingen kann hochbegabte und mehrfach schwer behinderte Kinder gleichermaßen in einer gemeinsamen Schule gerecht zu fördern.
Eine von Dr. Andreas Schmidt jederzeit sehr sachlich, inhaltlich-qualifiziert geführte Runde.
Unterstützung bekamen wir auch aus den eigenen Reihen. Gerd Miedthank, von der AG Selbst Aktiv Berlin, meldete sich inhaltlich in gekonnter Argumentation zu Wort. Gerd gab Einblicke zum Stand der Bemühungen in Berlin.. Außerdem bereicherte er die Veranstaltung mit interessanten Text/Bildmaterialien zum Thema Inklusion.
Zusammenfassend stellt die Landesvorsitzende der AG Selbst Aktiv fest, dass eine Umgestaltung auch vom Wollen der einzelnen Akteure abhängig sei . Lehrkräfte, Eltern und auch die Landesregierung können hier gemeinsam den Prozess durch Umdenken, Aufklärung und Kommunikation begleiten.
Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wird die Bildungsvorhaben in Zukunft für Sachsen-Anhalt mit bestimmen.
.Text: Katrin Gensecke
Fotos: Peter Marx